Als ich im Oktober mit meinen beiden guten Freunden Thomas und Christian in Tokio war, hat es uns am ersten Abend in die Bar „Tír na nÓg“ verschlagen. Der Name, aus dem Keltischen stammend, bedeutet „Land der ewigen Jugend“ und beschreibt das mystische Feen-Reich der irisch-keltischen Mythologie – eine Verheißung, die diese Bar auf bemerkenswerte Weise erfüllte.
Stell dir vor: Du gehst eine unscheinbare Treppe hinab in einen Keller, der sich als Tor zu einer anderen Welt entpuppt. Jedes Detail atmet die Atmosphäre eines magischen Feenreichs. In einem weichen Polstersessel versunken, den Drink in der Hand, verliert man sich dort schnell in einer Welt jenseits des Alltäglichen – gerade in einer trubeligen Stadt wie Tokio, gerade nach 24 h Reisezeit hinter sich. Die Drinks waren vielleicht nicht die besten, die wir auf unserer Reise hatten, trotzdem war es ein Moment der Versenkung, der mich an die wahre Essenz der Gastronomie erinnerte: Magische Momente an magischen Orten zu erleben.
Gastronomie als Orte des Lebens
Wir alle kennen diese besonderen Momente: Sei es in einer eleganten Bar, einem gemütlichen Restaurant oder an einem einfachen Würstelstand – plötzlich überkommt uns das Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein. Es sind Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint und wir uns vollkommen im Hier und Jetzt befinden.
Unsere Kulturgeschichte hat dieses Gefühl tausendfach rezipiert.
Egal ob in der Literatur, wo viele der großen Schriftsteller in Cafés, Bars und Restaurants ihre kreative Heimat fanden. Hemingway in den Pariser Cafés, Kafka in den Prager Kneipen, die Beat-Generation in den New Yorker Jazz-Clubs – sie alle suchten und fanden in der Gastronomie mehr als nur Speisen und Getränke. Sie fanden Inspiration, Zuflucht und einen Ort, an dem das Leben in all seinen Facetten pulsierte.
Egal ob in alten Filmen oder in neuen Serien, die Gastronomie war schon immer ein Ort, der als Sujet für Träume fungierte. David Gelbs Folgen von Netflix-Dauerbrenner Chef’s Table sind deshalb so eindrucksvoll, weil er ein Meister der Inszenierung dieser besonderen Momente ist, die das Leben in ihrer ganzen emotionalen Achterbahnfahrt zeigen.
Die Gastronomie verliert ihren Zauber
Doch müssen wir uns eingestehen: Diese Magie, die einst das Herzstück der Gastronomie bildete, droht uns zunehmend zu entgleiten. Als Gastronomen finden wir uns allzu oft in einem Labyrinth aus Verwaltungsaufgaben und organisatorischen Herausforderungen wieder, anstatt uns unserer eigentlichen Berufung zu widmen – der Schaffung magischer Momente für unsere Gäste.
Versteh mich nicht falsch: Die Bedeutung von Organisation und Verwaltung ist unbestreitbar. Die bürokratischen Anforderungen sind in den vergangenen Jahren gewachsen, doch die Lösung liegt nicht im Beklagen dieser Umstände.
Vielmehr müssen wir einen Weg finden, diese Herausforderungen mit Eleganz und Effizienz zu meistern. Der Schlüssel liegt hier in der Professionalisierung unserer Betriebe und Prozesse. Wo einst eine unüberschaubare „Zettelwirtschaft“ herrschte, können heute digitale Werkzeuge unsere administrativen Aufgaben erheblich vereinfachen. Dieser Schritt erfordert weniger Aufwand und Kosten, als viele von uns vermuten mögen. Was es vor allem braucht, ist unsere Bereitschaft zur Evolution, zur Anpassung an die Zeichen der Zeit. Die Gastronomie funktioniert nicht mehr als Amateurbusiness, sie ist eine Branche, die nur noch Erfolg haben kann, wenn sie genauso professionell agiert, wie andere Branchen auch.
Wieder Raum schaffen für das wirklich wichtige!
Aber ist das kein Widerspruch zu dem „Besonderen“, was die Gastronomie ausmacht? Meine Antwort ist ganz klar: Nein! Vielmehr halte ich es für essenziell, dass wir uns dahingehend verändern!
Warum? Weil nur in der Professionalisierung der Raum zur Entfaltung von Kreativität erhalten bleibt; wie soll man kreativ sein, wenn man gefesselt ist von repetitiven Veraltungsaufgaben und von der Unsicherheit, ob das eigene Unternehmen wirtschaftlich funktioniert! Und weil nur die Professionalisierung uns wieder die Freiheit schenkt, zu dem zurückzukehren, was wir im Kern sein sollten: Gastgeber und Schöpfer unvergesslicher Momente.
Denn seien wir ehrlich: Menschen suchen in unseren Etablissements mehr als nur Nahrung und Getränke. Sie suchen nach einem Gefühl, nach einer Erfahrung, die ihren Alltag transzendiert. Sie sehnen sich danach, für eine Weile in eine Welt einzutauchen, die sie verzaubert und inspiriert.
Hier liegt unsere große Chance: Indem wir uns wieder stärker auf die Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse unserer Gäste besinnen, können wir wahre Magie erschaffen. Es geht darum, mehr zu bieten als nur einen Ort zum Essen – wir können Räume des Erlebens, des Fühlens und des Seins kreieren.
Emotionen sorgen für Umsätze
Für alle die jetzt sagen: „Das klingt ja nett, aber was soll das Ganze? Was bringt mir das als Gastronom?“, habe ich folgende Antwort:
Das Ganze schafft nicht nur ein tieferes Gefühl der Erfüllung in unserer Arbeit (was ich wiederum als essenziell für Erfolg halte), sondern ist essentiell für unseren wirtschaftlichen Erfolg.
Menschen entscheiden primär emotional. Im Schnitt werden 90 % unserer Kaufentscheidungen von Gefühlen getrieben. Nur 10 % durch rationale Überlegungen.
Wenn wir es schaffen, unseren Gästen mehr zu bieten als nur die Befriedigung physischer Bedürfnisse – wenn wir ihnen das Gefühl geben, genau am richtigen Ort zu sein – triggern wir Kaufentscheidungen. Plötzlich rückt der Preis in den Hintergrund, der Konsum steigt, die Verweildauer erhöht sich. Und das Schönste: Unsere Gäste verlassen uns mit einem Gefühl der Bereicherung und dem Wunsch, bald wiederzukehren.
Seien wir realistisch: Unser Hauptproblem in der Branche sind nicht gestiegene Kosten, sondern die ausbleibende Bereitschaft unserer Gäste, entsprechend mehr und hochpreisiger zu konsumieren. Aus dieser Bredouille kommen wir nur, wenn wir den Menschen wieder das Gefühl vermitteln, dass es ihr Leben bereichert, ihre Zeit und ihr Geld bei uns zu lassen.
Wir müssen die Gastronomie wieder zu dem machen, was sie im Kern sein sollte: Ein Ort, an dem Menschen ihr Leben in all seiner Fülle erfahren können. Und vor allem muss dies wieder so eine Selbstverständlichkeit werden, wie Ernest Hemingways über ein Pariser Café schrieb: „Hier saßen die Menschen zusammen, tranken guten Wein und aßen Brot, als wäre es das Selbstverständlichste, und doch war es für mich so voller Leben.“
Indem wir nach außen, zum Gast hin, emotionaler und nach innen, in unserer Organisation, rationaler werden, können wir die Gastronomie zu dem zurückführen, was sie sein sollte: Ein Ort der Magie, der Begegnung und des Lebens in seiner reinsten Form. Es liegt an uns…

